Vorwort

Dieter Hildebrandt war ein politischer Kabarettist, der gemeinsam mit Bruno Jonas den Scheibenwischer leitete, als ich begann, mich für das politische Geschehen zu interessieren. Ich erwähne das, weil ich festgestellt habe, dass in meiner Generation der Name Hildebrandt nicht so bekannt ist, wie ich gedacht hätte. Auch wenn mein Interesse immer eher oberflächlich blieb, Hildebrandt hat doch eine erstaunlich prägende Rolle gespielt. Als ich von seinem Tod erfuhr, hatte ich spontan das Bedürfnis, einen Nachruf zu verfassen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ihn jemand lesen wollen würde, und wollte ihn auch zunächst nirgendwo veröffentlichen. Vielleicht hilft er aber wenigstens, das Vergessen etwas zu bremsen.


Dieter Hildebrandt - Ein Nachruf

Am 19.11.2013 erfuhr ich aus einer Randnotiz eines Newsfeeds, dass der Kabarettist Dieter Hildebrandt an Krebs erkrankt ist und wahrscheinlich nie wieder eine Bühne betreten wird. Diese Nachricht hat mich ehrlich tief getroffen aber ich bin davon ausgegangen, dass sich ein Mensch wie Dieter Hildebrandt nicht von so etwas Banalem wie Krebs umbringen lassen wird. Das erschien mir schlicht zu 'gewöhnlich'. Er würde den Krebs besiegen, auf die Bühnen und Monitore der Republik zurück kehren und geschickt in die Fehler der Politik stechen. Irgendwann, wenn die Welt ein besserer Ort geworden ist, er nichts mehr zu sagen und zu erledigen hätte, würde er in den Bundestag gehen, sich gut sichtbar auf dem Balkon nieder lassen und zu einer Statue werden. Mit kritischem Blick würde er dort über die Geschicke des Landes wachen und die Damen und Herren Volksvertreter daran erinnern, bloß nichts Dummes an zu stellen denn sie werden immer beobachtet.

Zugegeben, so blumig habe ich es mir dann doch nicht vorgestellt und es wäre auch eines Dieter Hildebrandts nicht würdig gewesen. Zwei Tage später kam dann aber doch die traurige Gewissheit. In den Morgenstunden stand fest: Reparatur nicht mehr möglich.

Unweigerlich kamen mir bei dieser Nachricht die Gesichter hoher Politiker vor Augen, wie sie mit betretenen Gesichtern vor die Kameras treten und ihn in den höchsten Tönen loben. „Er war einer der Größten.“ werden sie sagen, „einer der einflussreichsten und prägendsten Menschen der medialen Nachkriegswelt.“ Und damit werden sie auch recht haben. Hinter dem betretenen Gesicht sehe ich aber das tiefe Aufatmen. Endlich kann er ihnen nicht mehr ins Handwerk pfuschen! Nun hat die liebe Seele Ruh und sie können ungestörter ihr Unwesen treiben. Hoffentlich täusche ich mich in diesem Hirngespinst denn Dieter Hildebrandt ist nicht einfach verschwunden. Niemand der so einflussreich ist stirbt einfach. Er hat ein Erbe hinterlassen und das hat sich gewaschen.


Es begab sich vor vielen Jahren, als ich gerade zehn Jahre alt war, dass spät am Abend der Fernseher lief und ich noch wach war. Auf der Mattscheibe war ein Mann zu sehen, der sich als Frau verkleidet hatte und sich recht erfolgreich bemühte, eine Ministerin zu imitieren, die aktuell von sich reden machte. Ihm gegenüber standen zwei ältere Herren. Der eine recht groß, schlank und mit starkem münchener Akzent, der andere etwas kleiner, nicht ganz so schlank, mit einer großen Brille und schlesischem Akzent. Ich verstand kaum die Hälfte von dem, worüber sie redeten. Es ging um Politik, soviel war klar, aber nicht die langweilige Tagesschauversion, sondern greifbar, bunt und selbst für ein Kind verständlich. Das war meine erste Berührung mit dem politischen Kabarett. Der legendäre 'Scheibenwischer'.

Von da an bemühte ich mich, so oft wie möglich den 'Scheibenwischer' zu sehen. Die Nachrichten lieferten das Hintergrundwissen um die Themen und Personen, der Scheibenwischer die enger und weiter gefassten zusammenhänge. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die kleinen Diskussionen zwischen Dieter Hildebrandt und Bruno Jonas, die so beiläufig die Schweinereien der Republik offen legen. So locker, dass man darüber einfach lachen muss, bis einem auffällt, dass man ja selbst derjenige ist, der angeschmiert wird und es einem das Lachen wieder den Hals hinab zieht. Oder die zahlreichen Gastauftritte von Größen wie Georg Schramm und Volker Pispers. Ausgefeilt, pointiert, wortgewandt. Politik klingt plötzlich so einfach und doch faszinierend, wenn sie einem so auf der Bühne präsentiert wird.

Und dann irgendwann hieß es, der 'Scheibenwischer' endet. Die Sendung sollte zwar weiter geführt werden, aber erst nach einer gewissen Pause und ohne Dieter Hildebrandt. Für mich war damit der 'Scheibenwischer' auch eigentlich zu Ende. Ich habe ihn zwar weiter verfolgt und Bruno Jonas hat sich auch alle Mühe gegeben, das Erbe würdig weiter zu führen aber es war einfach nicht mehr dasselbe, auch wenn noch so viele alte Gesichter immer noch dabei waren.


Von Hildebrandt selbst folgten noch etliche Gastauftritte in Sendungen wie 'Neues aus der Anstalt' oder auf Preisverleihungen und nicht zuletzt seiner Geburtstagsgala. Immer wieder kündigte er seinen Rücktritt aus dem öffentlichen Leben an aber stand am Ende doch wieder auf irgendeiner Bühne, hielt der Welt einen Eulenspiegel vor und machte ihr gleichzeitig Mut. Teilweise klang er resignierend, nur um im nächsten Satz mit einen „jetzt erst recht!“-Charakter alle Zweifel beiseite zu wischen. Er schien immer da zu sein, wenn die Menschen sauer und enttäuscht waren, und hatte die richtigen Worte um sie zu trösten und zu ermutigen, den Kopf nicht hängen zu lassen. Auch wenn das wahrscheinlich nicht sein Ziel war, wie nach oben zu sticheln.

Unbequem, das wollte er sein und das war er auch. Er feierte es als großen Erfolg, wenn seine Sendungen in Teilen Deutschlands nicht ausgestrahlt wurden oder er wegen seiner Meinungen aus Diskussionsrunden ausgeladen wurde. Daraus zog er die Bestätigung, dass er den richtigen Leuten noch immer lästig war. Bei alledem schaffte er es immer angemessen zu bleiben. Ungemütlich, mal laut, mal leise aber niemals still. Er konnte einfach nicht anders.


Nachdem der Scheibenwischer einen Teil seines Reizes für mich verloren hatte, machte ich mich auf die Suche nach Ersatz. Ich fand andere Formate des Kabaretts im Fernsehen und später im Internet. Neue Namen und neue Ansichten tauchten auf und manche davon gefielen mir sehr gut. Trotz allem lernte ich erst jetzt den 'Scheibenwischer' richtig zu schätzen.

Die Lücke, die Hildebrandt im regelmäßig erscheinenden Kabarett hinterließ wurde für mich gleich von mehreren Personen wenigstens teilweise gefüllt. Georg Schramm geht in die Anstalt und bekommt die ihm völlig zu Recht zustehende Aufmerksamkeit und Anerkennung. Volker Pispers nutzt seine Möglichkeiten um nicht nur seinen eigenen Namen zu profilieren, sondern bietet auch dem Nachwuchs eine Bühne. Hagen Rether führt uns die Lächerlichkeit so mancher Hetzkampagne vor Augen. Andere wählen den Weg der kleineren medialen Aufmerksamkeit: Die klassische Kleinkunstbühne.

Aber sie alle haben eines gemeinsam. Sie sticheln gegen die Missstände und Fehler im System. Sie sind unbequem, lästig und nerven die Damen und Herren Volksvertreter damit, dass sie ihnen ganz genau auf die Finger gucken. Niemand von ihnen wird wohl für sich den Anspruch erheben können und wollen, der nächste Dieter Hildebrandt werden zu können. Er steht aber zweifelsfrei als Vorbild da, von seinen Kritikern mit faulen Eiern beworfen, aus denen er ein doch so schmackhaftes Omelett zaubern konnte.

Für mich reiht er sich in eine sehr sehr kurze Reihe ein. In die Reihe der Menschen, bei denen ich fast so weit gehen würde, sie als Helden zu bezeichnen. Wie gesagt … 'fast'

Ein rein subjektiver und kaum recherchierter Nachruf. Nicht immer völlig für voll oder ernst zu nehmen.