Vorwort

2006, in der Jahrgangsstufe 11, habe ich an einem Schreibwettbewerb der Stadtwerke Teilgenommen. Gemeinsam mit allen anderen Oberstufen der Stadt kamen immerhin 160 Einsendungen zustande. Die Schirmherrschaft hatte die Bürgermeisterin der Stadt übernommen. Das Ergebnis war eine große Überraschung für mich: Der erste Platz.

Das Thema war ein Schultag im Jahr 2088 vor dem Gesichtspunkt „Energie.“ Die Begrenzung von „max. 3 Seiten A4, Arial, 12p.“ stellten für mich dabei die größte Herausforderung, da mir das Thema sehr gut lag. Der Klimawandel war gerade überaus präsent in den Medien, die ersten Forschungsteams befassten sich damit Elektromobilität zurück auf die Straße zu bringen und ein amerikanischer Bastler stellte sein Modell eines Flugautos vor. Die logische Weiterentwicklung dieses Trends war für mich etwas, wovon bis dahin nicht die Rede war: Fahrräder mit Unterstützung durch Elektromotoren. Ein halbes Jahr nach dem Wettbewerb habe ich dann tatsächlich in einer Zeitschrift über etwas namens "e-Bikes" gelesen. Nebst einigen bereits bestehenden Entwicklungen die sich noch durchsetzen könnten, einigen noch nicht so absehbaren Entwicklungen ist ein Text entstanden, den die Jury als "höchst unterhaltsam" bezeichnete.


2088

Ein Schultag im Jahr 2088

Artikel in einer Schülerzeitung


Ich wachte auf, als ich die leise Stimme meiner Freundin hörte. Sie stand direkt neben meinem Bett und forderte mich mit einem Lächeln zum Aufstehen auf. Ich wühlte mich aus dem Bett, lächelte sie kurz an und die holographische Projektion verschwand mit einem Flimmern.

Ich hängte mir meinen Bademantel über die Schultern und schlurfte ins Bad. Das weiche Licht blendete nicht, aber es belebte. Nach einer Hand voll kaltem Wasser sah die Welt schon viel lebendiger aus.

Die Toilette war ein Trocken-WC, das heißt sie war besonders Wasser sparend und umweltfreundlich. Ich stellte mich in die Wasser sparende Dusche und aktivierte die Ultra­schall-Massage-Funktion um wach zu werden.

Als ich im Bad fertig war, zog ich mich an und packte die letzten PADD's, flache Displays, welche als Hefte und Bücher verwendbar sind, aber weniger wiegen und dünner sind, in die Schultasche und ging in die Küche. Das Frühstück brauchte ich nur noch aus dem Schrank zu nehmen, es war schon fertig zubereitet. Das machte ein Roboter, der merkte, wenn ich aufstand und dementsprechend reagierte.

Nachdem ich gefrühstückt hatte und mein Pausenbrot versorgt hatte, fuhr ich mit dem Fahrrad zur Schule. Über meinem Kopf flogen einige Jetcars und Flugautos durch die Luft. Ein halbwüchsiger Angeber zischte mit seinem Hopper etliche Meter über der Straße entlang und wäre beim Abbiegen in eine Seitenstraße fast herunter gefallen. Ein Hopper ist ein Motorrad-ähnliches Gefährt, welches auf einer Art Magnetfeld fliegen kann, ist aller­dings recht instabil und Energie aufwändig.

Unterwegs machte ich noch kurz an dem kleinen Café an der Ecke halt und holte mir ein zweites Frühstück in Form einer Schale Reis mit Gemüse in süß-saurer Soße. Ein warmes Frühstück ist immer hilfreich, wenn draußen schlechtes Wetter herrscht. Das schlechte Wetter hatte sich erst in den letzten Jahren so dramatisch verändert. Früher hat­ten wir angeblich ein recht warmes Klima hier in Europa, so sagten meine Eltern immer. Der Golfstrom war aber in den letzten 80 Jahren immer langsamer geworden und ist schließlich zum Erliegen gekommen. Nun fließt der Golfstrom vor Großbritanien nur noch als kalte Ströhmung in sehr tiefen Gewässern.

Nachdem ich meine Portionen auf gegessen hatte, verließ ich das Café wieder. Die Bezahlung verlief über einen kleinen Chip, den ich mir vor etlichen Jahren hatte implantie­ren lassen. Das war kein Aufwand, der Eingriff dauerte gerade einmal zwanzig Minuten. Es war mein erstes von vielen Implantaten, und es konnte schon sehr viel. Er übernahm nicht nur das Bezahlen, sondern auch jeder Zeit meine Position auszumachen und Türen zu öffnen. Jedes mal, wenn ich nach der Schule nach Hause kam, schaltete sich durch Kommunikation mit den Chips mein Computer ein.

Ich setzte mich auf mein Fahrrad, aktivierte den elektrischen Unterstützungsmotor, um besser gegen den Wind an zu kommen, und fuhr die letzten Meter zur Schule. Der große Nachrichtenschirm über dem Haupteingang berichtete gerade von den letzten Er­gebnissen des „Millennium-Projekt“, einem Projekt, bei dem in einem großen Gebäude ein komplett geschlossenes Ökosystem erprobt wurde. Das Projekt lief schon über zwanzig Jahre und die Ergebnisse hatten schon Verwendung in der Mond-Kolonie gefunden. Jetzt sollten sie helfen, die Mars-Kolonie zu optimieren.

Es folgten noch einige Informationen über Fortschritte in der Kybernetik, welche mich persönlich sehr interessierte, zumal ich selber schon mit Kybernetik in Form von klei­neren Implantaten voll gestopft war. Infos über ein neues Buch mit uninteressantem Titel schlossen sich an. Letzte Meldungen gab es über eine Explosion bei einem Versuch kom­plexe Materie zu „beamen“, bisher gingen nur Elemente, aber seit kurzem wurde daran gearbeitet, auch komplexere Stoffe über größere Entfernungen zu „beamen“.

Ich ging zu meinen Freunden in die Eingangshalle und wir unterhielten uns bis es zum Unterrichtsbeginn läutete.

Die ersten zwei Stunden waren Ökonomie und Wirtschaft, danach folgten zwei Stunden Kreativitäts-Training und jeweils eine Stunde Sprachen und Naturwissenschaften. Der Unterricht wurde in Esperanto gehalten, der Amtssprache in Europa und großen Tei­len Asiens und Afrikas.

Auf den alten Schulfotos meiner Eltern und Großeltern hatte ich gesehen, dass sie mit Kreide auf Tafeln schreiben mussten, wir hatten Wände, die wie die Leinwände im Kino waren: Sie bestanden aus einem speziellen Glasbeton, der an einer Stelle am Rand eine Schnittstelle hatte, wo ein Computer angeschlossen werden konnte. Von dort aus konnte ein Bild auf die ganze Wand gespielt werden, ähnlich einer Projektion, nur dass die Wand hier von hinten bestrahlt wurde. Einige Privatschulen hatten sogar schon hologra­phische Projektoren.

Für die nächste Woche hatte unser Lehrer uns für eine Führung durch ein neues Fusionskraftwerk in der Nähe angemeldet. Das besondere an diesem Kraftwerk war, dass es als Abfallprodukt Antimaterie abgab. Diese musste speziell gesammelt werden und konnte dann weiter verarbeitet werden.

Teile der Antimaterie wurden über einen Orbitallift zu einem Dock in der Umlauf­bahn gebracht. Hier wurde sie als Treibstoff für Raumfahrzeuge verwendet, die zum Bei­spiel zwischen Erde und Mond pendelten. Die ersten Fusionskraftwerke sollen noch radio­aktive Abfallprodukte gehabt haben.

Nach der Schule fuhr ich nach Hause und nahm mir etwas von dem bereits fertigen Mittagessen. Wieder ein Verdienst meiner Implantate, über die ich meinen Essenswunsch schon durchgegeben hatte.

Nach dem Essen ging ich in mein Zimmer, mit einem leisen Klicken schaltete sich die große Monitorfolie an meiner Wand ein und der Desktop-PC begann zu surren.

Mein PC war ein recht neuer Quanten-PC, die Rechenleistung betrug in etwa 500 Tera-Hertz nach der alten Skala. Das war nicht viel, aber es reichte für meine Zwecke. Von hier aus wurde auch der holographische Wecker gesteuert. Der PC hatte alles, was früher so an Unterhaltungsmedien existierte, integriert. Audio- und Videowiedergabe, Spielkonsolen, Telefon und so weiter.

Ich überprüfte, ob ich Nachrichten hatte. Es lag nur eine holographische Einladung meiner Freundin vor, in der sie mich zum Essen in der Innenstadt einlud, und eine Datei von einem Freund. Er hatte einen alten zweidimensionalen Zeichentrickfilm gefunden und war seit dem sehr nostalgisch.

Ich beschloss, meinen PC vorerst ab zu schalten, um Strom zu sparen. Meine Eltern meinten immer, ich solle etwas auf den Stromverbrauch achten, da die alten Solarzellen auf dem Dach nicht mehr volle Leistung bringen konnten.

Nahezu auf jedem Dach waren Solarzellen montiert, die neuesten hatten einen Wirkungsgrad von über 75%. Der Strom wurde in das allgemeine Netz eingespeist und von dort aus dann verteilt. Zusätzlich wurde noch aus Windkraftparks, Wasserkraftwerken und Fusionskraftwerken Elektrizität eingespeist. Damit war der größte Teil des Strombedarf abgedeckt.

Ich orderte mir ein Taxi. Es dauerte nicht lange und eine tropfenförmige Taxikabine auf Rädern hielt vor der Haustür. Ich stieg ein und gab meinen Zielpunkt ein. Ich hatte mich mit einigen Freunden im Stadtpark verabredet. Mit einem leisen Surren setzte sich das Taxi in Bewegung

Die gelben Taxis waren alle Computer-gesteuert und sehr preisgünstig nutzbar. Angetrieben wurden sie meistens von einem elektronischen Motor direkt im Rad. Die Steuerung verlief Satelliten-gestützt. Seit Jahren funktionierte das System sehr glatt und reibungslos. Nur schwarze Taxis fuhren noch mit Fahrer.

Der Stadtpark war um eine alte Ölraffinerie herum entstanden. Das viele Grün war eine Erholung für das Auge und eine Abwechselung in der großen wenn auch im Vergleich sehr grünen Stadt. Die meisten Städte waren eher trist, auch wenn es immer wieder Bemühungen gab, Blumen, Sträucher und Bäume in die Städte zu bringen, und sie zu begrü­nen, um die Atmosphäre zu verbessern und das Lebensgefühl zu heben.

Im Park angekommen richtete ich meine Augen auf die Büsche hinter denen wir immer trafen. Ein kybernetisches Implantat im Auge machte einzelne Wärmebilder sichtbar. Ihrer Anzahl und Größe nach zu urteilen, bestand über ihre Identität nur wenig Zweifel. Ich ging hin und wir hatten einen schönen Nachmittag. Wir diskutierten über die friedliche Nutzung von Antimaterie als Energiequelle und verglichen sie mit der Fusionsenergie.

Gegen Abend rief ich mir wieder ein Taxi. Diesmal kam kein Tropfen, sondern ein eher spinnenähnliches Gefährt. Diese Art wird eigentlich wegen ihrer guten Federung nur im Überlandverkehr eingesetzt. Ich kletterte hinein und ließ mich in die Innenstadt fahren.

Der Weg in die Innenstadt führte an einer Studentensiedlung aus Wohnkuben vorbei. Wohnkuben waren 3m x 3m x 3m große Würfel aus Glas und Stahl, in denen eine komplette Wohnung fest eingebaut war. Sie waren energie- und raumsparend, konnten bis zu zehn Etagen hoch gestapelt werden und erhielten Strom, Heizung und Wasser von zentralen Verteilersäulen.

Im Radio des Taxi ertönte gerade die Meldung, dass der Preis für Erdöl das erste Mal seit über 80 Jahren gesunken war. Seit die Autos nicht mehr mit Erdölprodukten betrieben wurden, war der Preis zwar nicht weiter so stark angestiegen, aber er war nie gesunken. Die wenigsten Fahrzeuge wurden heute noch mit Verbrennungsmotoren betrie­ben.

Seit die Ozonschicht durch die Abgase fast vollständig zerstört worden war und über die Hälfte der gesamten Menschheit strahlenkrank wurde, hatten die großen Regierungen einstimmig beschlossen, die Notbremse zu ziehen und Verbrennungsmotoren zu verbieten. Es dauerte 30 Jahre dies zu verwirklichen.

Meine Freundin in der Innenstadt zu finden war nicht schwer. Sie verfügte ebenfalls über Kybernetik und so war ihre Position für mich leicht auszumachen. Ein roter Fleck meines Okularimplantats markierte ihren Standort. Um auf diesem Weg jemanden zu lokalisieren, musste derjenige seinen Identitätscode gezielt frei gegeben haben.

Die Beleuchtung in dem Restaurant, in das wir gingen, war gedämpft und dem Licht, welches draußen herrschte, angepasst. Große helle Leuchtreklamen, wie man sie auf alten Fotos sehen konnte, gab es nicht mehr. Selbst in den großen Städten wurde nachts das Licht gedämpft, um die Umwelt zu schonen.

Die Erkenntnis, dass der biblische Satz „Füllet die Erde und machet sie euch unter­tan,“ auf einen Übersetzungsfehler zurück zu führen war, hatte dem Ego der Menschheit einen derben Schlag verpasst, aber gleichzeitig das Verantwortungsgefühl der Umwelt ge­genüber stark erhöht.

Das Essen wurde in der Regel ökologisch angebaut und schonend zubereitet. Die Reste wurden zur Gewinnung von Biogas verwendet, welches allerdings nur noch in privaten Kleinkraftwerken zum Einsatz kam. Diese wurden meistens gleichzeitig als Heizungen genutzt.

Nach dem Essen fuhren wir gemeinsam mit dem Transrapid zurück zu meinem Haus. Meine Eltern waren inzwischen von ihrer Arbeit nach Hause gekommen und sahen sich die Nachrichten an. Über mein kortikales Implantat hatte ich schon alle wichtigen Informationen mit ihnen ausgetauscht und so zog ich mich mit meiner Freundin in mein Zimmer zurück, um noch ein wenig bei Kerzenschein zu kuscheln.